AdA Positionspapier zum GVSG
Pressemitteilung
Der AdA – Bundesverband der Arzt-, Praxis- und Gesundheitsnetze e.V. erkennt im Referentenentwurf zum GVSG viele wertvolle Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die medizinische Versorgung. Mit beiliegenden Empfehlungen geben wir Diskussionsanstöße für weitere Detail-Gespräche.
Angesichts einer zunehmenden Ressourcenknappheit an Fachkräften und Finanzmitteln möchten wir darauf hinweisen, dass eine alleinige Orientierung an „zusätzlichen Leistungsangeboten“ nicht zielführend sein kann. Vielmehr sollten Maßnahmen an der medizinischen Versorgung folgende Eckpfeiler berücksichtigen:
- Die Krankenhausreform und die Versorgungsformen im GVSG müssen aufeinander abgestimmt werden: insbesondere die Verknüpfung der neuen, intersektoralen Krankenhausvariante (“1i Klinik“) ist mit der Etablierung einer „Gesundheitsregion“ mit entsprechenden Kassenverträgen deutlich erfolgreicher
- Nachhaltigkeit des Fachkräfteeinsatzes
- Qualität der Versorgung
- Bürokratieabbau
- Prozessoptimierung, z.B. durch Digitalisierung
Gerade Arzt-, Praxis- und Gesundheits- „Netzwerke“ haben sich in der Vergangenheit bei zahllosen Projekten bewährt. Vor dem Hintergrund unseres kooperativen, interprofessionellen Ansatzes bringen wir nachfolgend ein:
§65g - Gesundheitskiosk
Um Fehlallokationen von Versorgungsangeboten zu vermeiden, sind niederschwellige Beratungs- und Versorgungsangebote eine sinnvolle Ergänzung. Erste Umsetzungen unserer Mitglieder zeigen Versorgungsvorteile auf. Da Versorgungsbedarfe nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch regional unterschiedlich sind, müssen medizinische Versorgungsangebote regional adaptiert und umgesetzt werden. Wir unterstützen die bundeseinheitliche Strukturförderung und weisen darauf hin, dass Praxisnetzwerke bereits heute Versorgungsmöglichkeiten für bedürftige Gruppen anbieten (siehe Anhang). Wir sehen Praxisnetzwerke als geeignete Managementstruktur oder Träger eines Gesundheitskiosks. Auch deshalb, weil
- der Großteil der medizinischen Versorgung im ambulanten Sektor stattfindet und eine Vermittlung bei medizinischem Versorgungsbedarf innerhalb des Praxisnetzwerkes gesichert ist
- die Anerkennung nach §87b SGB V durch die jeweiligen KVen ein Gütesiegel der vorhandenen Managementstruktur sicherstellt
- Schnittstellenprobleme zwischen den Versorgungssektoren in der Regel schon gelöst sind
Besonders unterstützen wir beim aktuellen Entwurf
- Nachvollziehbare Strukturförderung
- Entlastungsmöglichkeit von Praxen durch externe Beratungsdienstleistungen
- Ermöglichen von temporärem Casemanagement
- Neue Vergütungsmöglichkeiten für innovative Leistungen
Wir sehen aber folgende Verbesserungsmöglichkeiten
- 65g (1) - Klarstellung der Verortung: die Begrifflichkeit „sozial benachteiligte Region“ ist nicht spezifisch, wir empfehlen hier eine Klarstellung bzw. Ergänzung mit „… soll in sozial benachteiligten, strukturschwachen oder unterversorgten etabliert werden“
- 65g (1a neu) - Gleichstellung anerkannte Praxisnetzwerke und Gesundheitskiosk: wir beurteilen das Element „community health nurse“ (Case-/Care-Manager) als sehr sinnvoll. Bereits heute könnte diese Versorgung in Praxisnetzwerken ohne bürokratischen Mehraufwand (und Mehrkosten) umgesetzt werden. Daher sollte eine entsprechende Regelung auch für Praxisnetzwerke etabliert werden.
- 65g (2) - Abgrenzungsunschärfe bzw. Doppelstrukturen: durch die unklare Abgrenzung zu folgenden Bereichen sehen wir potenziell eine Ressourcendopplung gegenüber
- Aufzählung 7 - Praxisnetzen: „Bilden von sektorübergreifenden Netzwerken“
- Aufzählung 8 - Niedergelassenen Ärzten: Primärversorgung kann und sollte in den Praxen stattfinden
- 65g (2) Aufzählung 8 - Behandlungsleistungen: in der Ausgestaltung sind auch „einfache, delegative Leistungen“ vorgesehen. Wir sehen diese nicht als sinnvollen Teil des Leistungsspektrums eines Gesundheitskiosk, da u.a. folgende Punkte ungeklärt sind:
- wer die Haftung bei Zwischenfällen übernimmt (Verantwortung bei Ärztinnen und Ärzten?)
- wie die Dokumentation erfolgt (ePA? eFA?)
- welche Vergütungswege für Delegationsleistungen angedacht sind (Delegation = Anstellung bei Ärztinnen und Ärzten)
- 65g (2) - Unnötige Strukturvorgabe der Leitung: Eine „pflegerische Leitung“ für soziale Beratungsangebote, einfache delegative Leistungen oder auch Koordinationsleistungen ist sachlich nicht nachvollziehbar. Auch Versorgungsassistenten, Geburtshelfer und alle anderen qualifizierten Gesundheitsberufe können und sollten regional als Führungskräfte in Betracht kommen (§65g Absatz 2, nach Aufgabenaufzählung).
§73 a - Primärversorgungszentrum
In absehbarer Zeit werden Ärzte eine größere Patientenzahl versorgen müssen. Deshalb werden die Themen Delegation, Substitution und interprofessionelle Zusammenarbeit neu definiert werden müssen. Die Implementierung von PVZ ist nur folgerichtig.
Besonders unterstützen wir beim aktuellen Entwurf
- der Bereich „Delegation“ und „Substitution“ wird weiterentwickelt
Wir sehen aber folgende Verbesserungsmöglichkeiten
- 73a (1a neu) – Klarstellung „PVZ“: handelt es sich beim PVZ um eine Praxisform, die vom Zulassungsausschuss mit entsprechender, neuer Bürokratie genehmigt werden muss, oder ist es als Praxisbesonderheit seitens der KVB nur festzustellen? Letzteres könnte dann auch leicht einem dezentral organisierten Primärversorgungsnetzwerk für alle Teilnehmer zugesprochen werden.
- 73a (2) - Dezentrales regionales Primärversorgungsnetzwerk: auch aus den Erläuterungen ist nicht ersichtlich, ob die Vertragsärzte eines PVZ an einem Ort tätig sein müssten – und damit bisherige Praxisstrukturen örtlich verlassen müssten. Ein Zusammenschluss einzelner Praxen zu einem überörtlichen („virtuellen“) PVZ wäre hier durchaus denkbar. Unsere Empfehlung wäre daher das PVZ analog zu „Darmzentren“ oder „Tumorzentren“ nicht regional sondern funktional auszugestalten. Durch ein dezentrales PVZ gelingt es, vorhandene Leistungserbringer in unterversorgten Gebieten niederschwellig zu einem „Miteinander“ zu führen, statt eine Konkurrenzsituation durch neue örtliche Zentren zu schaffen. Durch örtlich festgelegte PVZ würden vielmehr zu einem Verlust von Versorgungseinheiten in der Fläche führen.
§140b - Gesundheitsregion
Das GVSG setzt den Versorgungsansatz erstmals nicht mehr auf einzelne Patienten in einem Flächenbereich (Bedarfsplanung), sondern ermöglicht eine populationsorientierte Betrachtung analog zum Public-Health-Ansatz mit koordinativer, bedarfsorientierter und regional-adaptierter Versorgung. Wir begrüßen dies ausdrücklich.
Besonders unterstützen wir beim aktuellen Entwurf
- eine kassenübergreifende Versorgung ohne wettbewerbsorientierte Differenzierung zwischen Krankenkassen, wie beim §140a SGB-V
- den Entfall einer Einschreibung von Patienten in diese Versorgungsform
- die Koordination zwischen vorhandenen Leistungserbringern
Wir sehen jedoch folgende Verbesserungsmöglichkeiten:
- 140b (1) - Initiierungsöffnung: neben Kommunen sollen auch Zusammenschlüsse der Kommune und einem Praxisnetzwerk, ggf. weiteren Dritten, eine Gesundheitsregion initiieren können.
- 140b (1a neu) - Vermeiden von Doppelstrukturen: Dort wo es in der Region bereits gewachsene Netzstrukturen gibt, müssen diese in die Arbeit einer neu gegründeten Gesundheitsregion eingebunden werden (zwingender Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit anerkannten Praxisnetzen, sofern vorhanden).
Hinweis: eine reine Nennung von Praxisnetzwerken in den Anmerkungen ist aus unserer Sicht unzureichend, um Doppelstrukturen zu vermeiden: siehe hierzu die Parallelentwicklung von „Gesundheitsregion plus“ und Praxisnetzwerken in Bayern.
- 140b (2) Aufzählung 5 neu - Qualitätsfokussierung, Ziele und Controlling: neben Beratungs- und Mangelsituationen sollten auch messbare Qualitätsaspekte und abgeleitete Verbesserungsziele eine Gesundheitsregion begründen können. Die Zusammenführung der Versorgungsdaten der Krankenkassen sollte an eine dritte Stelle erfolgen. Die Neuregelung im §287a Abs. 2 könnte dazu entsprechend erweitert werden. Wir weisen in diesem Zusammenhang auf das langjährig bestehende QuATRo-Projekt für Praxisnetze des AOK-Bundesverbandes, speziell auch der AOK-Bayern, hin.
- 140b (3a neu) - Finanzierung durch Transformationsfonds: Wir schlagen vor, neben der Strukturförderung in Höhe von 150TE als Stufe 1 auch ungenutzte Mittel des Innovationsfonds in Form eines „Regional- und Transformationsfonds“ zu verwenden.
- 140b (4) - Kopplung an ÖGD: „Gesundheitsförderung und Prävention“ ist eine der vielen Aufgaben des ÖGD. In der Versorgungsrealität findet jedoch KEINE Zusammenarbeit zwischen dem ÖGD und insbesondere der ambulanten Medizin statt. Wenngleich hier eine engere Verzahnung wünschenswert wäre, so ist „Gewährleistung“ einer verpflichtend „engen Kooperation“ eher hinderlich als förderlich für diesen innovativen Ansatz (§140b Absatz 4 Satz2).
- §140b (5 Neu) - Schiedsstellenfähigkeit: Wir haben die große Sorge, dass sich die Gespräche zwischen den Vertragsparteien ohne entsprechende Regelung zum Anrufen einer Schiedsstelle unnötig lange verzögern.
Ansprechpartner
Geschäftsstelle Daniela Hoxhold
Vorstand
Dr. Thomas Koch
Annette Hempen
Sebastian Klein
Mark Kuypers
Constanze Liebe